Montag, 8. Mai 2017

Klimawandel und Nahrungsmittelpreise - ein interdisziplinärer Blick zurück


J. Esper/ U. Büntgen/ S. Denzer/ P.J. Krusic/ R. Schäfer/ R. Schreg/ J. Werner: Environmental drivers of historical grain price variations in Europe.
Climate Research 72, 2017, 39–52



In der Diskussion um die Bedeutung des Klimas für die Geschichte werden sehr oft und pauschal Zusammenhänge postuliert, indem etwa "Klimaverschlechterung" für wirtschaftliche Schwierigkeiten verantwortlich gemacht wird. Tatsächlich ist dies viel zu simpel. Die Zusammenhänge von Klima und Geschichte sind höchst komplex, da Gesellschaften unterschiedlich vulnerabel oder resilient gegen Krisen sein können. Was für die einen schlecht ist, kann für andere eher vorteilhaft sein. So sind beispielsweise die Anlage und Verteilung der Felder, aber auch Systeme der Vorratshaltung oder der Solidarität historisch-kulturell bedingte Rahmenbedingungen, die die Folgen des Klimawandels in einem gewissen Rahmen puffern können.  Problematsch sind das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren sowie die Auswirkungen von Schwellenwerten aber auch die handlungsleitenden Weltbilder der Menschen. Reaktionen auf Klimawandel sind - wie heute die Trump-Administration demonstriert - nicht immer rational und möglicherweise sogar eher kontraproduktiv.
Um die Zusammenhänge zwischen Klima und Geschichte zu erfassen, bedarf es also einer Überprüfung, wie Klimawandel und historische Entwicklungen konkret zusammenhängen. Ein wichtiger Mittler dazu können Nahrungsmittelpreise sein, da sie prinzipiell Ernteschwankungen abbilden können. Solche Überlegungen waren der Anlass, für eine Studie auf Preisreihen zurück zu greifen, wie sie die Wirtschaftsgeschichte schon seit langem zusammen gestellt hat.

Roggen
(Foto: Alupus [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons)
Schwankungen der Getreidepreise waren ein Charakteristikum der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Schon lange hat die Forschung daher Preisangaben für Gerste, Roggen und Weizen gesammelt. Trotzdem fehlt es an einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge zwischen der Preisentwicklung und klimatischen oder umweltbedingten Faktoren. Immer wieder war von Historikern gewarnt worden, solche Preisserien als Ausdruck genereller Konjunkturen heranzuiziehen, da sie oft lokalen politischen Einflüssen unterworfen waren und so hochgradig regional beeinflusst sein können. Mit der Betrachtung der Preise erfassen wir dennoch einen Faktor, der sehr direkt von den Ernteerträgen und der jährlichen Witterung abhängt. Die Notwendigkeit, regionale politische Faktoren auszufiltern und langfristige Trends im Vergleich mit den klimatischen Entwicklungen zu erfassen, führt zu einer primär statistischen Analyse der Datenserie.

Korrelation historischer Getreidepreise und klimatischen Entwicklungen

Jahrringe spiegeln die klimatische Entwicklung
(Foto: R. Schreg)
Ausgangspunkt war also das Problem, die beobachtbaren Korrelationen von Umweltfaktoren und langfristigen sozialen Prozesse enger aufeinander zu beziehen. Getreidepreise erweisen sich hier als guter Proxy. Der neu erschienene Artikel nutzt historische Preisreihen aus 19 Städten aus Mittel- und Südeuropa aus dem Zeitraum vom 14. bis zum 18. Jahrhundert.  Wir haben dazu alte Sammlungen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Getreidepreise digitalisiert und mit den dendrologisch gewonnenen Klimakurven abgeglichen. Mittels GIS lassen sich regionale, politisch bedingte "Anomalien" ausfiltern.

Die darin auf einer zeitlichen Auflösung von einem Jahr bis zu mehreren Jahrzehnten erkennbare räumliche Variabilität wurde mit der Rekonstruktion der Sommertemperatur und hydroklimatischen Bedingungen verglichen, wie sie sich anhand dendrologischer Untersuchungen in Finnland ergeben. Diese Serie spiegelt sehr gut die Großwetterlagen in West-, Mittel- und Südeuropa wieder.
 

Kriege überlagern Umweltfaktoren

Direkte Korrelationen zwischen historischen Getreidepreisen und rekonstruierten Trockenheitsindices sind zwar gering; konzentriert man sich aber auf Extremereignisse ergeben sich deutliche Hinweise auf eine klimatische Beeinflussung großer Preisschwankungen. Unter Normalbedingungen sind also in der Tat politische Entwicklungen wichtiger als klimatische Einflüsse. Während ausgeprägter Trockenperioden erweisen sich Getreidepreise aber als extrem hoch und während Feuchtphasen extrem niedrig.  Die Getreidepreise in Europa sind eng mit Hungersnöten und Ernährungsengpässen verbunden, die zudem mit regionalen Sommerdürren zusammen.  Der normale Witterungsverlauf zeigt hingegen kaum eine Korrelation mit Preisen, nur größere Witterungsevents wirken sich auf Ernten und Getreidepreise aus. Zudem zeigt sich aber, dass Schwankungen der Getreidepreise durch mittelfristige Temperaturtrends beeinflusst werden.

Ein Ergebnis, das in dem Artikel besonders hervorgehoben wird: In Kriegszeiten schaft sich der Mensch so viel eigene Probleme, dass diese dann den klimabedingten Stress überlagern. Der Einfluß der Sommertemperaturen ist nach dem 30jährigen Krieg im Zeitraum von 1650 bis 1750 besonders stark. Während Kriegsperioden sind die Korrelationen zwischen den verschiedenen Regionen relativ gering, während sie danach immer wieder zunimmt. Während der Unruheperioden werden klimatische Faktoren von soziokulturellen zurück gedrängt und zeigen größere regionale Variabilität.
So zeigt sich gesellschaftlich/politische Faktoren und Umweltfaktoren komplex ineinandergreifen. In Friedenszeiten kommen Umweltfaktoren stärker zum Tragen als während Kriegen.
 

Archäologie als Mittler zwischen Historikern und Geowissenschaftlern

Auf den ersten (und wohl auch auf den zweiten) Blick hat das wenig mit Archäologie zu tun. Und dennoch war hier die Archäologie hier als Mittler zwischen Klimaforschern und Historikern ganz grundlegend. Letztlich war es nicht möglich, wie ursprünglich beabsichtigt, einen archäologischen Datensatz zur Siedlungsentwicklung mit der nötigen chronologischen Auflösung in die Überlegungen mit einzubeziehen, aber die traditionell engen Beziehungen der Archäologie sowohl zu den Natur- wie zu den Geschichtswissenschaften waren für die interdisziplinäre Verständigung außerordentlich hilfreich.
Der verfolgte methodische Ansatz hat weitere vertiefende Forschungspotentiale. Man wird nicht nur den Datensatz durch die Aufnahme weiterre Preisreihen noch ausbauen und regional differenzieren können, sondern auch versuchen können, weitere Faktoren ins Spiel zu bringen. Sind die Preisschwankungen in primär auf Getreidebau orientierten Landschaften anders als in Regionen mit stärkerer Viehwirtschaft? Lässt sich vielleicht eine Resilienz bestimmter Anbaupraktiken und Siedlungssysteme nachweisen? 
Hier kommen die historische Geographie sowie die Archäologie wieder stärker ins Spiel. Aufgrund der relativ schlechten chronologischen Auflösung, die man beispielsweise für die Datierung für Wüstungen erreichen kann, dürfte hier den räumlichen Korrelationen eine größere Bedeutung zukommen als den chronologischen.

Kurz: Schon allein das Nachdenken über Zeitreihen und langfristige Prozesse, wie es sich aus der Landschafts- und Umweltarchäologie ergibt, hat insofern einen Mehrwert, als es auch über das Fach hinaus Forschung anregen kann.

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