Donnerstag, 2. April 2015

Reaktionen auf den IS-Kulturterror (Syrien und Irak im März 2015)

Zerstörungen durch IS
https://www.youtube.com/channel/UC2wcbMIfJc7G8QrRv9rcwXwNach den Zerstörungen im Museum von Mosul und in Ninive hat IS Anfang März zahlreiche weitere archäologische Fundstellen attakiert. Mit Sprengstoff und Bulldozern sollen die Fundstellen von Nimrud, Chorsabad und Hatra zerstört worden sein. Die einschlägigen Meldungen sind bereits in einem früheren Post "Krieg gegen die Vergangenheit? Der IS und die systematische Zerstörung archäologischer Fundstellen. Archaeologik (9.3.2015)' zusammengestellt.


Anfang März soll auch das christlich-assyrische Kloster St. Georg nahe Mosul zerstört worden sein:
Die Nachricht wird inzwischen relativiert: http://www.fides.org/en/news/37442-ASIA_IRAQ_The_monastery_of_St_George_in_Mosul_damaged_but_not_destroyed. Demnach wurde das Kloster zwar stark beschädigt, aber nicht zerstört.

Am 19.3. wurde die Zerstörung einer christlichen Grabanlage (Mar Bahnam-Grab bei Mosul) des 13. Jahrhunderts über facebook verbreitet. Dazu wurden Fotos (Ausschnitte aus einem IS-Video?) gepostet, die die Sprengung tatsächlich zeigen.

In Mosul selbst wurden einige Moscheen zerstört:

1500 historische Bücher und 520 denkmalgeschützte Gebäude sollen in Mosul zerstört worden sein:
    Im kurdischen Shingal hat IS ein historisches Minarett, Wahrzeichen der Stadt sowie weitere Gebäude gesprengt:
    Ein Überblick auch bei
    Zweifel an den Zerstörungen
    Das Beispiel des Klosters St.Georg bei Mosul zeigt, dass gegenüber den Zerstörungsberichten eine gewisse Skepsis angebracht ist. Insbesondere Satellitenbilder dienen der Verifizering der Zerstörungen. Laut einem italienischen Bericht konnte eine Kommission der Organisation Shirin anhand aktueller Satellitenbilder Zerstörungen in Nimrud, Hatra und Chorsabad nicht bestätigen:
    Inzwischen wird versucht, die Meldungen zu verifizieren, wobei Satellitenbilder eine zentrale Rolle spielen:
    Tatsächlich scheinen die ersten Meldungen über Zerstörungen in Nimrud, Hatra und Chorsabad zumindest deutlich überzogen gewesen zu sein. Dass ein echtes Risiko besteht, zeigen allerdings die dokumentierten Zerstörungen im Museum von Mosul sowie des Mar Bahnam-Grabes.

    Eine Zusammenstellung von Satellitenbildern archäologischer Fundstellen aus Syrien und Irak bietet:
    Es sind weniger systematische Planierungen, als vielmehr Raubgrabungslöcher (und militärische Stellungen), die in großem Stil die archäologischen Archive vernichten.


    Im Kontext stehende weitere Meldungen
      Luftangriffe zum Schutz archäologischer Fundstellen?:
      Aufruf eines kuwaitischen Predigers zur Zerstörung der Sphinx in Ägypten:
        Zerstörungen von Kulturgütern durch IS in Libyen:
        Kommentare
        Interviews mit Archäologen
        Stellungnahmen archäologischer Institute und Institutionen
        Reaktionen und Maßnahmen
        UNESCO-Direktorin Irina Bokova startet während eines Irak-Besuchs in Bagdad die Kampagne #Unite4Heritage mit dem Ziel internationale Unterstützung für den Schutz des irakischen kulturguts zu erhalten:

          Die Juristin Marina Lostal geht der Frage nach, inwiefern eine individuelle Strafverfolgung der Plünderer in Syrien erfolgen könne:
          Die Täter von Mosul wurden bereits identifiziert:

          Eine neue facebook-Gruppe sammelt Informationen zu Zerstörungen in Mosul:
            Cyberarchaeology at Mosul: Das Project Mosul möchte das Museum in Mosul digital rekonstruieren und bittet um Mithilfe, etwa durch uploads von Fotos, die das Museum und die Objekte zeigen. Ziel ist es, mit photogrammetrischen Methoden 3D-Modelle der zerstörten Objekte zu schaffen, die später Grundlage sein könnten, ausstellbare Kopien zu erstellen.  




            Inzwischen liegen erste 3D-Modelle vor, die zwar noch nicht ausgereift sind, die aber schon eine Vorstellung bieten, was das Projekt leisten kann:

              Museum in Mosul 2008
              (Foto: Diane Siebrandt, via Ancient World online)
              Die USA geben wenige Tage nach den Zerstörungen demonstrativ geschmuggelte Artefakte an den Irak zurück:
              Inzwischen ist jedoch auch die Diskussion um die Repatriierung von Altertümern in westlichen Museen aufgeflammt:
              Diese Frage darf nicht verwechselt werden mit derjenigen um eine "Verteilung durch den Markt", die die Zerstörung von Fundstellen fördert. Gleichwohl scheint es mit einem Blick zurück in den Zweiten Weltkrieg oder in die heutige Ostukraine überheblich, zu meinen, in Europa gäbe es kein Risiko einer Kulturzerstörung und nur der Westen könne Kultur bewahren.

              In der Reihe der Tabula Imperii Byzantini der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist der lange erwartete Band zu Syrien (verstanden in den antiken Grenzen der Provinzen Syria Prōtē, Syria Deutera, Syria Euphratēsia) erschienen.
              • K.-P. Todt/V. Bernd Andreas, Syria (Syria Prōtē, Syria Deutera, Syria Euphratēsia). Tabulae Imperii Byzantini 15 (Wien 2015).
              Der Band stellt neben der historischen Geographie auch die archäologischen Denkmäler von etwa 2000 Orten vor. Viele davon liegen heute im Bürgerkriegsgebiet und sind von Plünderung und Zerstörung bedroht. Der Band soll als Dokumentation dieser gefährdeten Plätze auch frei online zur Verfügung gestellt werden.


                  Zerstörungen und Plünderungen in Syrien
                  Obwohl immer mehr über einen Wiederaufbau von Aleppo zu hören ist, gibt es von dort doch immer noch Meldungen über neue Kämpfe und Zerstörungen. DGAM, die syrische Altertumsbehörde meldet beispielsweise eine Tunnelexplosion in der Altstadt am Morgen des 12. März (DGAM 13.3.2015).

                  Allgemein:
                  Sicherungsmaßnahmen in Syrien
                  Syrien hat 120 aus Palmyra geklaute Funde zurückgeführt. Viele Funde sind indes ins Ausland gewandert (übrigens schon vor dem Bürgerkrieg: vgl. Archaeologik [15.11.2010] und Archaeologik [16.7.2012]).
                  Wiederaufbaubemühungen in Aleppo:
                  Ein Porträt der Gruppe Heritage for Peace:
                  Antikenmarkt
                  Aufgeweckt durch die tatsächlichen und angeblichen IS-Zerstörungen hat sich ein breiteres Interesse an den illegalen Aktivitäten auf dem Antikenmarkt erheben. Die Erkenntnis, dass nicht nur der IS von den Plünderungen profitiert, findet allmählich größere Aufmerksamkeit und macht klar, dass es sich nicht um ein Ausnahmeproblem mit den Extremisten des IS handelt.

                  Angeblich ist Plünderungsgut des IS auch auf ebay aufgetaucht. Das berichtete die Times:
                  Das inzwischen vorzeitig beendete Angebot bei ebay wurde von einem US-amerikanischen Münzhändler eingestellt und bietet eine griechische Münze aus Apameia an (Prägeort, nicht unbedingt Fundort!). Der Händler bietet ein Certificate of Authenticity, aber natürlich keine Ausfuhrpapiere oder irgendwelche Provenienzangaben, die die Annahme begründen könnten, die Münze stamme eben nicht aus den aktuellen Raubgrabungen, die Apameia weitgehend umgegraben haben und aus denen sicher Tausende von Funden auf dem Markt landen werden (Die völlige Zerstörung von Apameia am Orontes: Syrien im April 2013. Archaeologik [30.4.2013]). Zwar werden einige Münzen angeboten, die aus der Bürgerkriegsregion stammen könnten, aber naturgemäß lässt sich das nicht beweisen - und insgesamt stellen sie nur einen Bruchteil des Angebots des Händlers dar, das Münzen der gesamten antiken Welt umfasst. Mehrfach taucht Spanien als Fundregion auch ungereinigter Münzen auf. Sichere Hinweise, dass besagte Münzen des Angebots aus IS-Plünderungen stammen, gibt es nicht! Eben darum braucht es eine Nachweispflicht, auch für Münzfunde.
                  Sam Hardy nimmt die Geschichte zum Anlass darauf hinzuweisen, dass nicht allein IS für Plünderungen verantwortlich ist. Gerade in Apameia ist die Ausplünderung laut Luftbildern bereits erfolgt, bevor der IS erstarkt ist.
                  Bei Durchsuchungen bei einem Schatzgräber und Antikenhändler in Shumen in Bulgarien wurde neben zahlreichen Funden des 1. und 2. Jahrhunderts, die wohl aus Plünderungen bulgarischer Fundstellen wie Ratiaria (vergl. Ratiaria – Die geschredderte Römersiedlung. Archaeologik [20.6.2013]) stammen, auch ein sumerisches Relief der Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. sichergestellt. 
                  Vergleichbare Funde stammen aus Lagash im Süden des heutigen Irak, das nicht unter der Herrschaft des IS steht. Der Fall verweist jedoch auf enge Verzahnungen zwischen Raubgräbern in Europa und dem illegalen internationalen Antikenhandel.


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