Freitag, 31. Januar 2014

Das kurze Leben einer Kaiserstadt

Zum 1.1.2014 haben wir ein neues Projekt gestartet! Thema ist eine Stadt am Übergang von Antike zu Mittelalter, über deren Umwelt- und Sozialgeschichte wir in den nächsten drei Jahren arbeiten werden.

Römisch – Germanisches Zentralmuseum Mainz etabliert internationales Forschungsprojekt ’Caričin Grad’

30.01.2014, Mainz
Blick von der Akropolis über die Oberstadt von Caričin Grad
(Foto: R. Schreg/RGZM, 2013)
Das Römisch - Germanische Zentralmuseum Mainz (RGZM) beginnt 2014 ein langfristiges interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Untersuchung der frühbyzantinischen Stadt Caričin Grad im heutigen Südserbien.

Dieses wird in Kooperation mit dem Institut für Archäologie, Belgrad (IA) und der École française de Rome (EFR) durchgeführt. Beide Institutionen arbeiten bereits seit 1978 erfolgreich gemeinsam in Caričin Grad. Inhaltlich ist das Projekt an den ’WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident’ angeschlossen. Das im Leibniz-Wettbewerb geförderte Projekt schafft der Forschung des RGZM wertvolle wissenschaftliche Kontakte in Belgrad, aber auch in Italien und Frankreich. Die Projektleitung für das RGZM übernimmt Dr. Rainer Schreg.

Zeiten des kulturellen Umbruchs bedeuten Veränderungen mit häufig unumkehrbaren Auswirkungen für die betroffenen Gesellschaften, die dabei mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert werden. Den Umgang mit entsprechenden Auswirkungen zu analysieren ist ein zunehmend wichtiges Thema in der Archäologie. Hierfür ist Caričin Grad ein besonderes Beispiel. Die Geschichte und Erhaltung der Fundstelle bieten ideale Bedingungen, um eine Siedlung in der Übergangsphase von der Spätantike zum Frühmittelalter zu untersuchen.

Die in Südserbien gelegene byzantinische Ruinenstadt ist vermutlich identisch mit ’Iustiniana Prima’, der schriftlich belegten Neugründung Kaiser Justinians. Wird Caričin Grad zurecht mit ’Iustiniana Prima’ identifiziert, so stellte es als Erzbistum das administrative und religiöse Zentrum der Region dar. Die Ruinen von Caričin Grad passen in dieses Bild. Der Ort bestand gemäß dem Fundmaterial von ca. 530 bis ca. 615 n. Chr. Er zeigt repräsentative urbane Architektur in antiken Traditionen und vereint die etablierten Charakteristika einer hellenistisch-römischen Stadt mit den jüngeren einer Siedlung christlicher Prägung. Die Architektur, insbesondere die repräsentativen Bauten sind bereits Gegenstand umfassender Untersuchungen und Rekonstruktionen.

Inhaltlich sollen daher in den folgenden Jahren vor allem Fragen zur Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialgeschichte behandelt werden. Hierbei wird das Umland Caričin Grads zur Rekonstruktion der zeitgleichen Kulturlandschaft einbezogen. Langfristig soll ein Bild der Stadt als Humanökosystem rekonstruiert werden, welches sowohl die Umweltfaktoren als auch die Gesellschaft berücksichtigt. Die erste Kampagne der Feldforschungen findet im Sommer 2014 statt.

«Die klar umrissene Dauer der Belegung, und die Tatsache, dass nach der Auflassung der Stadt keine weitere Überbauung erfolgte, machen ’Caričin Grad’ zu einer Fundstelle mit außergewöhnlichem Forschungspotential. Wir freuen uns daher sehr auf die Zusammenarbeit mit den serbischen und französischen Kollegen in diesem spannenden Projekt», so Prof. Falko Daim, Generaldirektor des RGZM. 

Leserkontakt

Dr. Constanze Röhl
email: roehl@rgzm.de



Inzwischen gibt es auch eine erste knappe Projektseite unter www.rgzm.de/caricingrad, die mit Projektfortschritt ausgebaut wird.


Das kurze Leben einer Kaiserstadt - Alltag, Umwelt und Untergang des frühbyzantinischen Caričin Grad (Iustiniana Prima?)

Bereits seit mehr als 100 Jahren beschäftigen sich archäologische Forschungen - zuletzt seit 1978 das Institut für Archäologie Belgrad und die École française de Rome - mit der aktuell auf der Tentativliste der Unesco geführten Stätte Caričin Grad im südöstlichen Serbien. In den Ruinen der frühbyzantinischen Anlage, die neben den klassischen Elementen einer antiken Stadt wesentlich durch das Vorhandensein von acht sakralen Bauten geprägt ist, wird anhand des Abgleichs mit byzantinischen Textquellen der durch Kaiser Justinian neu gegründete Bischofs- und Verwaltungssitz Iustiniana Prima vermutet.
Mit einer Belegungsdauer von knapp 90 Jahren, von ca. 530 bis ca. 615 n. Chr., fokussiert der Ort eine kurze Zeitspanne intensiver Nutzung, deren Relikte zudem frei von Störungen durch spätere Überbauungen blieben. So bietet Caričin Grad ideale Bedingungen, um eine Stadt am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter, und die mit einem solchen kulturellen Umbruch verbundenen komplexen Fragestellungen zu untersuchen. Ziel des Projektes ist es daher, Aspekte von Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialgeschichte des Ortes zu rekonstruieren.
Dabei stehen zwei Themenkomplexe im Vordergrund. Zum einen handelt es sich um den Bereich ’Haushalt, Konsum und Alltag in Caričin Grad’. Für diesen ist geplant, als exemplarisch angesehene, primär domestisch genutzte Gebäudeeinheiten bezüglich Ernährung, Produktionsverfahren, Arbeitsabläufen und Aktivitätszonen zu beproben und zu Fragen nach Versorgung, Organisation und ihrer Rolle in Produktion und Ernährung auszuwerten.
Zum anderen soll im Bereich ’Ressourcen zum Bau und zur Versorgung der Stadt’ mittels einer Analyse der im Umfeld zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie einer Berechnung des Materialverbrauchs und Einschätzung des Bauaufwands anhand einer vorhandenen 3D-Rekonstruktion der Stadt geklärt werden, welche Ressourcen für den Bau der Stadt nötig waren und wie ihre Versorgung funktionierte. Die Prospektion von Geoarchiven im Umland der Stadt und eine Neubearbeitung von Geräten und Werkzeugen der Region avisiert die Rekonstruktion von Agrarwirtschaft und Hortikultur.
Die Zusammenführung dieser Themenkomplexe soll, da diese sowohl Umweltfaktoren als auch Gesellschaft beinhaltet, ein Bild von Caričin Grad im speziellen und der Stadt als Humanökosystem im allgemeinen entwerfen. Das Projekt Caričin Grad soll so zur Etablierung einer umwelthistorischen Perspektive auch über die Laufzeit des Vorhabens hinaus dienen.
(reblogged von www.rgzm.de/caricingrad)


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