Mittwoch, 28. August 2013

Unwetterschäden im Raum Tübingen im Juli 1342(?)

Ende Juli 2013 hat ein schweres Unwetter den Raum Tübingen und Reutlingen heimgesucht. Die Versicherungsschäden werden auf mindestens 200, eher 600 Mio € geschätzt. Autowerkstätten und Handwerker sind ausgebucht, die Schäden werden bald kaum mehr zu sehen sein.
Eine Studie an der Universität Stuttgart hat im Schönbuch jedoch Spuren eines früheren Unwetters gefunden. Nahe der Neuen Brücke, etwa 10 km nordnordwest von Tübingen zeigen sich mehrere tiefe Erosionsrinnen, die nun mittels Drohnen und Sondagen dokumentiert worden sind. Die 14C-Datierungen aus den Schwemmfächern weisen darauf hin, dass ein Unwetter in der Mitte des 14. Jahrhunderts diese Schluchten gerissen hat. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um jene Unwetterfront gehandelt hat, die in weiten Teilen Deutschlands zum Magdalenenhochwasser im Juli 1342 geführt hat. Nach den schriftlichen Quellen war es das bei weitem mächtigste Hochwasser. 

Erosions-Gully bei der Neuen Brücke im Schönbuch nahe des von der Stuttgarter Forschergruppe untersuchten.
(Foto: R. Schreg, 2013)

Im Hochmittelalter wurde im Schönbuch in
mehreren Töpfereien Keramik der älteren
gelben Drehscheibenware produziert,
hier Nr. 3-5 aus einer Töpferei in Altdorf.
Die Ware hebt sich ab von zeitgleicher
nachgedrehter Ware (1-2 Beispiele aus
Merdingen im Breisgau).
(Graphik R. Schreg, aus Schreg 2012)

Ein Schluchtenreissen, wie es sich im Schönbuch beobachten lässt, ist unter den heutigen Bedingungen einer dichten Bewaldung kaum denkbar. Forschungen der Tübinger Archäologie des Mittelalters haben in den vergangenen Jahren verschiedene sehr holzintensive Gewerbe nachgewiesen - Töpfereien in Altdorf, Hildrizhausen und (ein Neufund erst der letzten Wochen) auch in Holzgerlingen, Eisenverhüttung in Weil-im-Schönbuch und Glasmacher im Goldersbachtal nördlich von Bebenhausen. Abgesehen von der Glashütte, die wohl erst im Kontext der Gründung der Universität Tübingen im 15. Jh. zu sehen ist, bewegen wir uns mit der Töpferei und Eisenverhüttung im 11./12. Jahrhundert. Nach Schriftquellen ist für Hildrizhausen und Altdorf eine Kontinuität der Töpferei ins 13./14. Jh. möglich, aber archäologische Belege fehlen.

Da der Ansatzpunkt der Forschungen jeweils bau-bedingte Bodeneingriffe waren, liegen die archäologischen Belege eher in den aufgesiedelten Bereichen des nördlichen Schönbuch, dürften aber doch als Indiz taugen, dass man von einer intensiven Holznutzung schon vor der Mitte des 14. Jh. ausgehen muss. Die jüngere, spätmittelalterliche Nutzung des Schönbuchs für Bauholz wurde im Rahmen eines DFG-Projektes Haus und Umwelt bearbeitet - Ansatzpunkt dazu waren dendrologische Untersuchungen an Fachwerkhäusern im Neckarland, gerade auch im Umfeld des Schönbuchs, der wegen der speziellen Forstverhältnisse im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit besonders interessant erschien.
Grabungen auf einem Verhüttungsplatz bei Weil-im-Schönbuch
(Foto: R. Schreg/ Institut für Ur- und Frühgeschichte und
Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen, 2002)


Die nun ins 14. Jahrhundert datierten Erosionserscheinungen im südlichen Schönbuch setzen voraus, dass dort eine intensive Abholzung stattgefunden hat - entweder wegen des Brennholzbedarfs der Eisenverhüttung und der Töpfereien, oder aber auch durch eine agrarische Nutzung. Aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit liegen aus dem zertalten Keuperbergland des südwestlichen Schönbuchs nur wenige, zudem unsichere Funde vor. Die Besiedlung konzentriert sich auf die Verwitterungsböden des Lias im nördlichen Schönbuch. In einigen Randbereichen scheinen hier seit den vorrömischen Metallzeiten aufgesiedelte Flächen nach der Römerzeit nicht weiter genutzt worden zu sein (Morrissey 2001).  Die mittelalterlichen Erosionserscheinungen im südwestlichen Schönbuch sind daher durchaus überraschend und werfen für die Archäologie die Frage auf, wie die Landnutzung dort im Mittelalter ausgesehen hat. Offenbar ging sie von den benachbarten Siedlungen aus und dürfte am ehesten mit nicht-agrarischen Aktivitäten zu verbinden sein.
Als die Grabungen der Uni Tübingen im Schönbuch statt fanden, war noch nicht an LIDAR-Scans zu denken, mit denen man evtl. Altfluren und andere Landnutzungsrelikte in diesem Bereich hätte erfassen können. Inzwischen hat aber das Landesamt für Denkmalpflege den Schönbuch als Pilotprojekt für die LiDAR-Auswertung genutzt und dabei auch Wölbackerreste unter Wald erfasst. Bisher wurden aber nur Befunde vom östlichen Schönbuchrand bei Rübgarten publiziert (http://ag-caa.de/wp-content/uploads/2013/05/hesse.pdf).

Bislang ging man davon aus, dass der Mittlere Neckarraum von den Unwettern 1342 nicht betroffen war, jedenfalls nicht in dem katastrophalen Ausmaß, wie der Raum von Main, Weser und Elbe, wo inzwischen zahlreiche Erosionsrinnen nachgewiesen wurden (Bork u.a. 2011). Die Befunde im Schönbuch, wie auch der Rechtsstreit von Esslingen über Unwetterschäden (http://archaeologik.blogspot.de/2013/01/bodenerosion-1342-ein-rechtsstreit-in.html) werfen die Frage auf, ob nicht auch das Mittlere Neckarland im Sommer 1342 Unwetter erlebt hat, deren Spuren auch heute noch zu finden sein könnten. Grundsätzlich besteht das Problem, dass die Datierungsgenauigkeit der Sedimente aus sich heraus keine Identifikation mit den Ereignissen 1342 zulässt - die schriftlichen Quellen nennen auch andere Unwetter, aber keine, die entsprechende Geländespuren erwarten lassen.

Ein Forschungsprojekt, das mit Historikern, Archäologen und Bodenkundlern gezielt nach Erosionsbefunden des 14. Jahrhunderts sucht, könnte einen wichtigen Beitrag leisten, das schwerste Unwetter der Geschichte besser kennen zu lernen und so auch die Unwetter-Risiken, die weit über die von 2013 hinausgehen können, besser abzuschätzen.

Literaturhinweise
  • H.-R. Bork/A. Beyer/A. Kranz, Der 1000-jährige Niederschlag des Jahres 1342 und seine Folgen in Mitteleuropa. In: F. Daim/D. Gronenborn/R. Schreg (Hrsg.), Strategien zum Überleben. RGZM-Tagungen 11 (Mainz 2011), 231–242. 
  • S. Frommer/A. Kottmann, Die Glashütte Glaswasen im Schönbuch. Produktionsprozesse, Infrastruktur und Arbeitsalltag eines spätmittelalterlichen Betriebs. Tübinger Forsch. hist. Arch. 1 (Büchenbach 2004).
  • D. Lutz, Beobachtungen und Funde aus der evangelischen Pfarrkirche St. Nikomedes in Hildrizhausen, Kreis Böblingen. Fundber. Bad.-Württ. 1, 1974, 672–688.
  • U. Meyerdirks/K.-H. Münster, Hochmittelalterliche Eisenverhüttung im Lachental, Gde. Weil im Schönbuch, Kreis Böblingen. Arch. Ausgr. Bad.-Württ., 2001, 250–252.
  • C. Morrissey, Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Schönbuchs. Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 34 (Leinfelden-Echterdingen 2001).
  • R. Schreg/U. Meyerdirks, Töpfereiabfälle der älteren gelben Drehscheibenware aus Altdorf, Kreis Böblingen. Arch. Ausgr. Bad.-Württ., 2002, 243–244.
  • R. Schreg/U. Meyerdirks, Weitere Grabungen auf dem hochmittelalterlichen Eisenverhüttungsplatz im Lachental bei Weil im Schönbuch, Kreis Böblingen. Arch. Ausgr. Bad.-Württ., 2002, 244–246.
  • R. Schreg: Keramik des 9. bis 12. Jahrhunderts am Rhein. Forschungsperspektiven für Produktion und Alltag. In: L. Grunwald, H. Pantermehl, R. Schreg (Hrsg.): Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Eine Quelle für Produktion und Alltag des 9. bis 12. Jahrhunderts. RGZM-Tagungen 13 (Mainz 2012) 1-19
ResearchBlogging.org
E. Beckenbach/U. Niethammer/H. Seyfried (2013). Spätmittelalterliche Starkregenereignisse und ihre geomorphologischen Kleinformen im Schönbuch (Süddeutschland): Erfassung mit hochauflösenden Fernerkundungsmethoden und sedimentologische Interpretation Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, 95, 421-438 DOI: 10.1127/jmogv/95/2013/421

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